Ausgangslage
Erstes Exposé

> Call
> Expose
> Fragenkatalog
> Infobulletins
> Team
> Literatur
> Links

> Bulletin #1
> Bulletin #2
> Bulletin #3
> Bulletin #4
> Bulletin #5
> Bulletin #6
> Bulletin #7
> Bulletin #8
> Bulletin #9

> Feedback #1
> Feedback #2
> Feedback #3

> Reisebüro
> Wellness World
> Backstage*Tours

Tourismus ist ein Feld des Austauschs und des Transitorischen, wo Realität und imaginierte Bilder aufeinander treffen, wo Reisende sich das "Fremde" vergegenwärtigen, Stereotypen bestätigen und dabei in erster Linie mit dem "Eigenen" konfrontiert werden. Im Urlaub lässt sich ein temporärer Rollentausch und die Erfahrung der Aufwertung des eigenen Status inszenieren: Im Alltag an Weisung gebundene Angestellte oder Bedienende können an ihren Urlaubsorten zu Weisung gebenden und zu Bedienten werden, in Länder mit niedrigerem Bruttosozialprodukt (was in den 60er Jahren für alle Süddestinationen Europas zutraf und heute für viele Destinationen im globalen Süden zutrifft) verwandelt sich der auch der mitteleuropäische Mittelstand kurzfristig in eine ökonomische Elite. Im Tourismus werden aber auch Alltagsdefizite kompensiert und Normalität durch die gezielte Herbeiführung von allen möglichen Ausnahmezuständen (emotionalen, psychischen und physischen) transzendiert.

Abgesehen von Soldaten, Missionaren, Pilgern oder Forschern stellten Touristen vielfach den allerersten Kontakt für die Bevölkerung abgelegener Gegenden zu einer adeligen, wohlhabenden oder städtischen, intellektuellen Elite dar. Auch das Auftauchen von "Hippies", "Deutschen" und "Europäern" führte zu einer mitunter brutalen Konfrontation mit anderen kulturellen Werten und sozialen Habitus, wird aber dadurch auch zum Ausgangspunkt für neue Begehren und für die Aneignung neuer Lebensstile. Persönliche, quasi "natürliche" Gastfreundschaft transformierte sich unter dem doppelten Druck der Masse und der kulturellen Konfrontation zu einer professionalisierten und durch ökonomisierten Dienstleistung. So boten Verdienstmöglichkeiten im Tourismus und der Kontakt mit andern Lebensmodellen in vielen peripheren Regionen gerade auch weniger privilegierten Bevölkerungsschichten und insbesondere den Frauen Chancen, sich von lokalen Zwängen zu emanzipieren. Gleichzeitig wurde dadurch das traditionelle soziale Gefüge des Dorfes oder der Region verschoben, das Dorf mittels seiner urbanen Gäste ebenfalls einer Urbanisierung unterzogen.

Tourismus ist ein Produkt der Moderne, ein Phänomen der Industriegesellschaft. Gleichzeitig mit der zunehmenden Entfremdung der Arbeits- und Lebensbedingungen wuchs der Wunsch nach einem vermeintlich authentischen Refugium in einer weit gehend unberührten Landschaft. Dieser verklärte Blick auf die Landschaft – und die in ihr "eingebetteten" Bauten – wurde von wohlhabenden Städtern konstituiert, die sich zuerst auf Sommerfrische in die nahe gelegenen Voralpen oder auf den Spuren kolonialistischer Abenteurer, Handelsreisender, Missionare und Pilger in die ganze Welt aufmachten. Die Bilder und Erzählungen die sie von ihren Reisen mitbrachten, haben wiederum die Erwartungshaltung der nachfolgenden sozialen Klassen dominiert. Die zunehmend erschwinglichen Mittel der Mobilisierung (Eisenbahn, PKW, Flugzeuge) und die teilweise extrem niedrig gehaltenen Lohnkosten der DienstleisterInnen in traditionellen Tourismusdestinationen haben die einst elitäre Stadtflucht in ein Massenphänomen verwandelt. Die "Demokratisierung" des Tourismus wurde demnach auch durch die Ausbeutung von Arbeitskraft ermöglicht. Und sie hat zudem bauliche Ausformungen (Autobahnen, Flughäfen, Hotelburgen) hervorgebracht, die vielfach in scharfem Kontrast zu den einstigen Mythen des "Authentischen" stehen.

Der Tourismus stellt eine der sichtbarsten Industriezweige dar, selbst wenn das von der Mehrheit der TouristInnen kaum bewusst wahrgenommen wird. Die Produktionsstätte und die darin herrschenden Verhältnisse sind jedoch unmittelbar präsent. Der Gast befindet sich gewissermaßen in ihrer Mitte - im selben Haus (Hotel) oder im selben Boot (Kreuzfahrtschiff): Bei der Übernachtung in einem großen Hotel oder bei der Inanspruchnahme einer Transport- oder Eventinfrastruktur befindet er sich selbst inmitten einer Art von Fabrik.

Tourismusdestinationen und Eventarchitekturen, in neuen "Themenpark" genau so wie in traditionellen Regionen, weisen eine Vorderseite und eine Rückseite auf: Die Vorderseite dient der Rekreation der TouristenInnen und stellt sich in der Regel als inszenierte Kultur- und Erlebnislandschaft bzw. spektakuläre Infrastruktur für Events dar und korrespondiert mit dem Geschmack und den Erwartungen des Publikums. Die Rückseite hingegen dient der Unterbringung der DienstleisterInnen und der enormen technischen Infrastruktur, die zur Ver- und Entsorgung der TouristenInnen nötig ist. Trotz dieser unmittelbaren Nähe lässt sich daraus nicht unbedingt ableiten, dass im Tourismus die Produktionsverhältnisse besonders transparent sind. Der fast überall präsente Backstage-Aspekt wird in der Regel ausgeblendet und übersehen.

Aus dem historisch eng mit der Entwicklung der geregelten Lohnarbeit verbundenen Massentourismus entwickelt sich im Moment parallel zur Abnahme klassisch geregelter Arbeits- und Freizeitmodelle, ein neuer, immer wichtiger werdender Wirtschaftskomplex aus Tourismus, Unterhaltungsindustrie und Gastronomie. Seine wirtschaftlich Relevanz beschränkt sich nicht mehr länger auf traditionelle Reisedestinationen und geregelte Ferienzeiten. Mit Shopping- und Seminartourismus, Ausgehmeilen und Adventure-Parks in fast jeder Stadt und für jeden Geschmack, mit Wellness und Gesundheitsangeboten bekommt Tourismus gewissermaßen Alltagsbedeutung. Der Tourismus hat auch im Hinblick auf die gesamte Ökonomie einen transformierenden Effekt.

Wie in andern Industrien werden heute auch im Tourismus für die arbeitsintensiven, als wenig "qualifiziert" geltenden Dienstleistungen überwiegend MigrantInnen eingesetzt. Neben der Tatsache, dass sich somit sowohl das migrantische Personal als auch Touristen gleichermaßen in der "Fremde" begegnen, kreuzen sich die Wege von TouristInnen und Migrantinnen auch noch in anderer Hinsicht. So setzte die Arbeitsmigration aus Italien, Spanien und der Türkei nach Deutschland und in die Schweiz etwa zur selben Zeit ein, wie der Massentourismus der NordeuropäerInnen Richtung Süden. Der während dem Urlaub nie zustanden gekommene Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung konnte bald Zuhause beim Italiener an der Ecke nachgeholt werden. MigrantInnen von außerhalb Europas versuchen ihrerseits als Touristen getarnt, auf eigenen Routen, die zunehmende Abschottung des Schengenraums zu umgehen. Immer öfter kommt es z.B. bei der Überquerung des Mittelmeers aus Richtung Nordafrika zu tragischen Unfällen mit zahlreichen Toten. Die Tragödie findet dabei praktisch im Blickfeld der am Strand sitzenden Feriengäste statt.

Mit dem von Malcolm Foley geprägten Begriff "Dark Tourism" wird schließlich ein Bereich bezeichnet, in welchem auf der Suche nach dem ultimativ Authentischen die Reise selbst zu Orten der Katastrophe und des Grauens - von realen Schauplätzen der Geschichte bis zu aktuellen Krisengebieten - führt. Hier treffen mitunter ehemalige KontrahentInnen oder deren Nachfahren an einstigen Orten des Schreckens aufeinander.


Ziele des Projektes

Ausgehend von den skizzierten aktuellen Entwicklungen im Tourismus sollen im Projekt "Backstage" unterschiedliche transitorische Momente und die dadurch erzeugten Sichtbarkeiten bzw. Unsichtbarkeiten im sozialen, kulturellen und realen, und auch im gebauten, Raum untersucht werden. Etwa die Vermittlungs- und Austauschfunktionen, welche im Tourismus entlang der Grenzen zwischen Bühne und Backstage, "Vertrautem" und "Fremden", hier und dort, Alltag und Abenteuer, Gast und Angestelltem wirksam sind. Das betrifft kulturhistorische, soziale, ökologische, bautypologische und logistische Aspekte, Aspekte der Lebens- und Kommunikationsformen und der gesellschaftlichen Organisation, die der Tourismus hervorgebracht bzw. ermöglicht hat. Von besonderem Interesse ist dabei der Blickwinkel der dort tätigen DienstleisterInnen auf Akteure und Publikum und der Blick auf und von der anderen, dem "klassischen" touristischen Blick abgewandten Seite.


Zielgruppe des Calls

Dieser Aufruf richtet sich an KulturwissenschafterInnen, AnthropologInnen, SoziologInnen, HistorikerInnen, GeographInnen, ArchitektInnen, KünstlerInnen, AktivistInnen und FilmemacherInnen (sowie auch an interdisziplinäre Arbeitsteams).

Gesucht werden Texte, Bilder, Filme zum Thema sowie interdisziplinäre Projektideen. Von Interesse sind auch Dokumentationen über bereits realisierte Projekte mit ähnlicher thematischer Ausrichtung.


Verwendung des Materials und weiteres Vorgehen

Eingereichte künstlerische und wissenschaftliche Beiträge, Texte, Bilder, Filme und Projektideen zum Thema werden im Winter 2003/2004 im Rahmen der Ausstellung im Forum Stadtpark Graz im formalen Set eines nachgestellten Reisebüros inszeniert und für das Publikum zugänglich gemacht. Gleichzeitig findet ein öffentliches Seminar mit ausgewählten AutorInnen eingereichter Paper sowie mit Gästen aus Kulturwissenschaften, Architektur, Geographie, und Kultur usf. statt, in welchem die Themen gemeinsam vertieft werden.

Ziel dieser ersten Projektstufe ist die Formierung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe für die Realisation einer repräsentativer Ausstellung und die Erstellung einer Publikation, die über einen bloßen Tagungsband oder Aussstellungskatalog weit hinausgehen soll, bis zum Herbst 2004.


Home | Call | Expose | Fragenkatalog | Projektteam | Literatur | Links