Backstage*Tourismus


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Feedback #2


Eine „private“ Stellungnahme von Michael Zinganel zum Feedback von Martina Backes:


Warum ist Alpentourismus ein Thema?

Der vermeintliche Schwerpunkt „Alpen“ im Grazer Workshop hatte ganz einfache Ursachen: Erstens fand diese erste Veranstaltung in Österreich statt (und auch die zweite wird in Österreich stattfinden). Die Alpen sind hier erstes Reiseziel bzw. erstes Thema bei der Problematisierung des Massen-Tourismus – in der Literatur, in den Sozialwissenschaften und auch in Raumplanung und Architektur. Die Diskurse über den Alpentourismus sind auch nicht frei von Aspekten des Kolonialismus und Rassismus (die Erschließung der österreichischen Alpen durch ortfremde Aktiengesellschaften, oder durch deutschen Alpenvereine, deren Antisemitismus, die flächen deckende Arisierung von Tourismusbetrieben, die Ausbeutung von Zwangsarbeiterinnen im Straßen- und Kraftwerksbau, die Ausbeutung von SaisonarbeiterInnen aus Niedriglohnländern usf.).

Nachdem die Einladungspolitik auch ökonomischen Zwängen unterliegt (wenn das Ziel ist, eine größere Anzahl an Positionen vorzustellen, werden die Reisekosten eben zu signifikanten Budget-Faktoren) gab es einen zugegebener Maßen großen Anteil an Personen, die sich mit den Alpen als Destination beschäftigt haben, und auch einige, die autobiographisch und habituell als „Bereiste“ oder sogar als „DienstleisterInnen“ im Tourismus geprägt sind.

Aus der Reisestatistik ließe sich auch ebenso eine Legitimation für die Auseinandersetzung für den Tourismus in den Alpen (aber auch für das nahe gelegene Mittelmeer) ableiten. Während in Deutschland 2001 80,2 % der Bewohner über 14 Jahre mindestens eine Reise mit mindestens 4 Nächtigungen tätigt haben, sind es in Österreich, doch kein ganz so armes Land, nur 52,6 %! Der in der Statistik ausgewiesene hohe Anteil an Reisen in Länder außerhalb der EU begründet sich zu einem beträchtlichen Teil in der Nähe des Landes zu den Adria-Stränden Sloweniens und Kroatiens.

Eine autobiographische Begründung

Ich will das aber wiederum autobiographisch argumentieren, genauso wie ich Martina Backes Forderung nach der Auseinandersetzung mit dem Tourismus im vormals 3.Welt genannten Süden und in ihrem Engagement und ihrer Erfahrung in der Entwicklungsarbeit begründet sehe.

Ich selbst habe ganz einfach bis heute keinerlei Erfahrung mit Fernreisen (trotzdem aber mit Rassismus). Ich hatte nie die Gelegenheit oder das Geld dazu (zu Fernreisen). Und wenn ich heute endlich mal genug Auszeit von meiner Kulturbetriebsreisetätigkeit habe, dann buche ich den billigstmöglichen Pauschaltrip, Maximum 2 Stunden Flugzeit, lege mich in die Sonne und schlafe mich aus. Die Ziele sind dabei andere als in meiner Kindheit, als ich mit meiner Großmutter und dank eines preiswerten Grazer Busunternehmens die Strände der oberen Adria von Rimini bis Opatja heimsuchen durfte. Die neuen Reiseziele begründen sich einzig und allein im Preisverfall der Flugreisen. Dem Anspruch meiner heroischen Phase, in der ich mich dadurch von der Masse zu distinguieren versuchte, dass ich bestenfalls gar nichts für Fahrt und Nächtigung ausgegeben hatte und das auch aller Welt durch eine wohl kalkulierte Verwahrlosung zu beweisen versuchte, wäre ich heute körperlich nicht mehr gewachsen.

Mein Anspruch bezüglich des Projektes wäre daher nun, auch in diesen, meinen eigenen, touristischen Erfahrungen (als Enkelkind am Strand, als Hippie, als Schilehrer, als gelegentlicher Pauschaltourist, und natürlich auch als distinktionsbedürftiger Kulturbetriebsprofi und Image-Produzent, der sich verzweifelt gegen den vermeintlichen Mainstream zu stellen versuchte) Aspekte und Mechanismen der touristischen Entwicklung zu diskutieren, die – für involvierte Individuen – natürlich nach wie vor auch von Kolonisierung, Rassismus und mangelnder Chancengleichheit gekennzeichnet sind.

In meinem Erfahrungsraum sind es die Bewohner aus den früheren Kronländern der Monarchie, die zuerst nur von den herrschenden Eliten kolonisiert und bereist wurden, und seit den 60 er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder als „Reservearmeen“ für die Modernisierung des sie einstmals beherrschenden ehemaligen Kernlandes dienen durften: als (vorerst nur männliche) Gastarbeiter im Bauboom hatten sie Anteil an der Errichtung touristischer Infrastrukturen (wie die Zwangsarbeiter zuvor) und als SaisonarbeiterInnen (nunmehr eben beiden Geschlechts) durften sie zum Dienstleistungsangebot touristischer Betriebe beitragen (wenn auch meist unsichtbar, unterbezahlt, und auf unterster betrieblicher Hierarchiestufe, back of „backstage“ gewissermaßen).

Diesen DienstleisterInnen, ganz egal, ob sie nun auf Baustellen oder in Hotels gearbeitet hatten, galt beispielsweise seit jeher das Ressentiment meiner Großmutter: nichts, gar nichts, so sehr sie sich auch angestrengt hätten, konnten sie der gutbürgerlich verwitweten Dame aus der traditionellen K&K Offiziersresidenz Graz recht machen. Auch die Reisen an die Adria waren durch ihre kontinuierliche Beschwerden über die mangelnde Dienstleistungsqualität charakterisiert – für uns als Kinder völlig unverständlich, denn für uns zählten damals nur Meer, Strand und Sonne.

Bei aller Ungleichzeitigkeit und unterschiedlichen Intensität kolonialer Aspekte in Fern-, Adria- und Alpentourismus lassen sie sich aber dennoch nachvollziehen und einander gegenüber stellen. Es ließe sich aber auch über die früheren Kolonien (oder Kronländer) als "backstage" zu Europas (Österreichs) Prosperität sprechen, beziehungsweise über das soziale Gefälle, das heute einerseits Urlaub für viele und andererseits (an viel zu vielen Orten) Profit (für wenige), erst möglich macht.

ÖstererreicherInnen waren schon bisher im internationalen Ferntourismus – wegen ihrer guten Ausbildung – als DienstleisterInnen in der Gastronomie gefragt. Aufgrund ihrer relativ hohen Stellung in den innerbetrieblichen Hierarchien sind sie wohl eher nicht die Opfer von Rassismus oder Ausbeutung. Neu ist, dass sie nun auch als Investoren und Entwickler auftreten, allerdings weniger im Ferntourismus, als in den ehemaligen Kronländern und in Russland (wo sich aber viele bereits wieder zurückgezogen haben).

Zum anderen profitierte Österreichs Tourismus auch von aktuellen ökonomischen Verschiebungen: Während der deutsche und holländische Mittelstand als Konsumenten weg zu brechen droht, wechseln wohlhabende Touristen von der teuren Schweiz ins für sie bei weitem billigere West-Österreich. Gleichzeitig drängen von Süden und Osten die neuen Eliten nach Westösterreich, während der neue Mittelstand den billigeren Osten erschließt. Wenn sich aber die neuen Eliten aus einstmals ärmeren, aus dem Selbstverständnis Österreichs für rückständig oder sogar abhängig gehaltenen Nationen plötzlich auch Urlaub in Österreich leisten können, anstatt nur in der Küche zu helfen, tun sich neue Formen des Ressentiments auf.

Interessant ist dabei aber, dass diese neuen Eliten die deutschen Touristen nicht ablösen konnten – natürlich nicht bezüglich ihrer Anzahl, aber auch nicht bezüglich einer anderen ebenso wichtigen Funktion: als aller liebstes Feindbild. Denn die österreichische „Nation“ konstituiert(e) sich – wie andere auch – über Diffamierung und Abgrenzung, im Falle Österreichs dienen dazu traditionell die Bewohner der ehemaligen Kronländer der Monarchie (dann auch der Osten) – und als Dauerbrenner eben auch Deutschland.

Die Invasion der deutschen TouristInnen im Tourismusboom der 60er und 70er Jahre traf auf eine gleichzeitige Bildungs(r)evolution in Österreich, nämlich den Zugang von jungen Männern aus vormals kleinbürgerlichen und auch bäuerlichen Familien aus ländlichen Regionen in den Kunst- und Kulturbetrieb. Deren spezifischen Erfahrungen mit dem Tourismus waren von Liebesentzug der Familie, die nun zuallererst Gäste bewirten musste, und der verlorenen Jugend im sich rasant modernisierenden, sich aber möglichst traditionell, gottesfürchtig und dumb vorstellenden Dorf geprägt. Hier wurde ein eigenes Subgenre der Literatur hervorgebracht, das definitiv von „backstage“ handelt, und von Individuen, die „backstage“ aufgewachsen sind, geschrieben wurde.

Dabei war aber der Abrechnungsbedarf mit dem Elternhaus oder mit anderen Patriarchen im Dorf oftmals so dominant, dass andere Aspekte – wie die „Ausbeutung“ von nichtösterreichischen SaisonabreiterInnen – übersehen wurden.

Ein Kommentar zum 11.September (Brigitte Franzen)

Brigitte Franzen hatte versucht in ihrer Zusammenfassung dieses Ereignis in Erinnerung zu rufen wollen. In meinem Erfahrungsraum als Tourist hat dieser Anschlag hingegen bislang keine negativen Auswirkungen. Denn vor allem die Bereitschaft zu Fernreisen war es, die durch die Terrorbedrohung zurückging. Und an Fernreisen hatte ich auch vor dem Anschlag nicht einmal zu denken gewagt.

Zum anderen sollte, wie uns die Tourismusgeschichte gelehrt hatte, die Verdrängungsleistung der Tourismusunternehmen, aber auch die Verdrängungsfähigkeit Reisewilliger nicht unterschätzt werden: Die spektakulären Flugzeugentführungen einer El Al Maschine von Athen 1976 und einer Lufthansamaschine von Palma de Mallorca 1977 haben – offensichtlich – weder den Griechenlandtourismus noch den nach Mallorca bremsen können. Und auch die Entführung des Kreuzfahrtschiffes „Achille Lauro“ hat den Kreuzfahrtourismus nicht nachhaltig beeinträchtigt.

Die Produktivkraft dieser Anschläge für die Entwicklung von Sicherheitsmaßnahmen auf Flughäfen war jedoch enorm. Diese Diskurse beginnen aber nicht erst mit dem 11. September 2001, sie haben – so meine Meinung – mit ihm nur eine produktive Renaissance erfahren.

Zusammenfassung

Es ist also tatsächlich unerlässlich – wie Martina Backes mit Recht fordert – klarzustellen, über welchen Tourismus gesprochen wird. Aber ebenso unerlässlich ist es klarzustellen, wer aus welcher Position, Sozialisation und habituellen Verfasstheit spricht.

Und vor diesem Hintergrund ist natürlich jeweils zu klären, was „backstage“ bedeuten kann. Darum soll es in der kommenden Projektstufe gehen. Und dazu werden wir präzisere Paper und Projektvorschläge einhole müssen.

Das Untersuchungsgebiet darf dabei aber auch in den Alpen liegen.

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