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Feedback #3
Rückmeldung auf den Backstage*Tourismus Workshop in Graz
Zur Praxis
Vielleicht macht es Sinn, einige Gedanken zu der ganz spezifischen kulturellen Praxis vorauszuschicken, die letztlich hinter so einem Projekt wie Backstage*Tourismus steckt und die auch den Ablauf des Workshops geprägt hat. Investigative, thematisch ausgerichtete und interdisziplinäre Projekte gibt es im Kunstumfeld -zumindest im deutschen Sprachraum - seit den 90er Jahren. Anlass für eine solche Praxis war u.a. eine fundamentale Kritik an einem durchwegs konservativ und auf den Markt hin gedachten AutorInnenbegriff, der bis heute den konventionellen Kunstbetrieb prägt und für die Behauptung eines hierarchisch strukturieren Kunstsystems (Galerie, Museum, Markt) unabdingbar ist. Wichtige kollektive Projekte waren z.B. "When Tekkno turns to sound of Poetry" (feministische Technologiekritik), "Innenstadtaktionen" (gegen Ausgrenzung und Zentrifizierung) oder Money Nations (über die Konstruktion eines neuen "Ostens" nach der Wende). Das spezielle dieser Praxis war nicht die Tatsache, dass SpezialistInnen aus unterschiedlichen Bereichen zusammengearbeitet haben sondern viel mehr ein bestimmter Akt der Selbslegitimation und des offenen Austauschs, mit dem Ziel, fach- und hierarchiespezifische Abgrenzungen zu Gunsten einer kreativen Wissensproduktion zu überwinden. In offenen Netzwerken und Zusammenhängen von Kulturschaffenden, TheoretikerInnen und AktivistInnen wird seither auch ausserhalb des Wissenschaftsbetriebes relevantes Wissen produziert und distribuiert. Interessant ist, dass sich trotzdem, dass die inhaltlich orientierte und auch politisch aktivistische Praxis den Kunstbegriff der 90er Jahren im wesentlichen geprägt hat, sich kaum Strukturen bilden konnten, die den veränderten Bedürfnissen z.B. auf der Ebene der Institutionen entgegenkommen.
Jedes renommierte Haus musste nun zwar sog. Themenausstellungen veranstalten - in welchen künstlerische Positionen unter thematischen Gesichtspunkten ausgewählt und für eine kritische Oberfläche sorgen mussten, aber realistische Produktionsbedingungen für prozessorientiertes Arbeiten wurden kaum geschaffen. Auf der anderen Seite wird der Wissenschaftsbetrieb bis heute von einer eng reglementierten und wenig durchlässigen Praxis der Forschung geprägt.
An diesem Punkt ist Backstage*Tourismus gewissermassen als strategisches Projekt positioniert. Das Potential des Projektes ist z.B., dass daraus nicht institutionell funktionalisierte "Tourism Studies" hervorgehen können, die ausserhalb des englischen Kontexts ja noch nicht exisitieren.
Zur Methode
Im Hinblick auf den von uns im letzten Herbst lancierten Call und den Workshop in Graz, stellt sich aktuell die Frage nach der richtigen Methode, um im Endeffekt zu spannenden Aussagen, komplexen Erkenntnissen oder angemessenen Aktionen zu finden und in einem zweiten Schritt geht es dann um die Frage einer sinnvollen Vermittlung in unterschiedlichen Kontexten.
Ich denke, dass sich das Format des Workshops für den Austausch von Informationen, Ideen und unterschiedliche Arbeitsansätze eignet. Allerdings wäre es von Vorteil gewesen, wenn nach den einzelnen Präsentationen oder nach Blöcken von Präsentationen jeweils offene Diskussionen möglich gewesen wären. Dafür habe wir die Situation zu sehr auf eine Bühne hin ausgerichtet. Ein räumliches Setting, was nicht so sehr das Format des frontalen Panels sondern eher das einer partizipativen Runde suggeriert hätte, wäre hilfreich gewesen. Und selbstverständlich wäre es fair, etwas diziplinierter mit den Längen einzelner Präsentationen umzugehen.
Ich finde persönlich die Mischung von künstlerischen, theoretischen Ansätzen bzw. die Vorstellung von Materialsammlungen auf der einen und fertige Projekte auf der anderen Seite sehr anregend und hilfreich, um auch inhaltlichen Fragen gegenüber eine Haltung zu entwickeln. Ich fände es schade, wenn die Beiträge stärker entflochten und z.B. ausschliesslich theoretische oder küntlerische Positionen vorgestellt würden. Natürlich können die Zusammenstellung und die einzelnen Beiträge je präzisiert werden. Für kommende Workshops braucht es im Vorfeld genauere Absprachen auch untereinander, damit sich die Beiträge präziser anschliessen und zeitlich zu bewältigen sind. Und ich stelle gerne mein Moderationsmandat für Begabtere zur Disposition.
Zum Thema
Für mich ist Backstage*" in erster Linie ein anschauliches Modell, um das Phänomen Tourismus kritisch zu Befragen. Der duale Blick hinter die Bühne ist natürlich viel zu einfach gedacht. Ich gehe nicht davon aus, dass wir da einen eindeutig beschreibbaren Raum oder eine einfach analysierbare Situation erwarten können. Was an der Idee Backstage*Tourismus" auch verfänglich sein könnte, ist die Vorstellung, dass Tourismus als ein eigenständiges Phänomen untersucht werden kann. Daher rührt vermutlich auch die bereits vom Martina und Michael angesprochene Schwierigkeit, mit den unterschiedlichen Formen des Tourismus (Alpen, Süden, etc.), die dann schnell mal in ihrer gesellschaftlichen Relevanz gegeneinander ausgespielt sind.
Ich habe den Eindruck, dass es keinen Sinn macht, sich mit einer kritischen Perspektive auf d e n Tourismus (selbst wenn es verschiedene Kategorien davon geben sollte) zu beziehen. Phänomene des Touristischen" sehe ich eher als komplexe transitorische Zusammenhänge und Bezüge, die in ganz unterschiedlichen Kontexten verschieden wirken können. Der Bezug auf Tourismus und die Perspektive auf Backstage* ist sozusagen ein doppeltes Vehikel, um bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse im Kontext einer zunehmend global funktionierenden Reise-, Sehnsuchts- und Erlebnisindustrie untersuchen zu können.
In dem Sinne finde ich es ein interessantes Projekt, die österreichische Verstrickung" in den und mit dem Tourismus zu einem eigenen Projekt zu machen. Wie Michael das in seinem Alpenplädoyer"
skizziert, würde dabei nicht so sehr die Geschichte der Tourismusentwicklung das Thema sein sondern vielmehr imaginierte Identitäten, Abgrenzung und Identifikation, Selbstwahrnehmung, Vorstellungen von wirtschaflticher Innovation, die damit verbundene systematische Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen etc.
Die Geschichte lässt sich allerdings so nicht auf die Schweiz übertragen. Hier liegt die touristische Erschliessung (und die damit verbundenen industrielle Kolonialisierung) viel weiter zurück. Längst hat sich ein eher emotionsloses, durchrationalisiertes und was die arbeitsintensiven Bereiche der Gastfreundschaft anbelangt, outgesourctes Geschäft entwickelt, wo identifikatorische Momente höchstens im Marketing eine Rolle spielen. Ansonsten sind die Davoser, St. Moritzer und Zermatter Städter, die sich nach Zürich, London und Miami ausrichten.
Die Themenstränge oder Erzählungen die mich im ganzen Komplex Backstage* Tourismus interessieren betreffen denn auch eher Zwischenzonen oder Berührungsflächen, z.B. das Zusammentreffen von Tourismus und Migration auf den unterschiedlichen Levels (migrantische Arbeitskräften im Tourismusgewerbe, Tourist als migrantische Strategie, um in den Schengenraum zu gelangen, gemeinsamBenutzte Infrastrukturen wie z.B. Hotels in der Türkei die gleichzeitig Badegäste und für die Abschiebung inhaftierte Migranten beherbergen) oder die Verbindungen, welche zwischen Kultur- und Freizeitindustrie und Tourismus entstehen und vielerorts als (einzige) Perspektive für eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft gehandelt wird und inwiefern sich solche Modell optimal einfügen in den nach neoliberalen Kriterien laufenden Umbau der Wirtschaft (Prekarisierung von Arbeit, Minijobs, Saison- bzw. Projektstrukturen auf der einen und Auflösung von geregelter Arbeit und Freizeit, Ich-Konsum etc. auf der andern Seite). Ein weiterer spannender Aspekt scheint mir an der Stelle die Frage, wie der Tourismus als Schule für einen spezifisch rationalisierten Umgang mit andern Kulturen (interkulturelle Kompetenz) und die Globalisierung der Eliten zusammenwirken.
Ein weiterer Interessanter Gedanke tauchte am Workshop auf, im Zusammenhang mit den Leichen in Österreichs Alpen", dem authentischen Community Aktivist in der Bronx und den Karneval-Mauren, die in einem Folklorespektakel für die Touristen an der Spanischen Küste von den Karneval-Christen geschlagen werden.
Begehrensproduktion und der Verkauf von Begehren müssten nochmals auf ihre tribalistischen Motive hin untersucht werden. Nicht einfach alles und z.B. jeder Ort lässt sich zur Attraktion erklären, zum Markenzeichen machen und verkaufen (siehe Wöhler). Im Grunde wird immer an einer Stelle reale Lebensenergie vermarktet (um nicht zu sagen ausgebeutet), etwa in Form von (unterbezahlter) Gastfreundschaft, als folkloristisch konditioniertes Soziales oder gleich als Vermarktung des Grauens und des nicht selten lebensbedrohlichen Thrills, etwa im Dark Tourism und Adventure Tourism. Die davon Betroffenen können sich manchmal gut arrangieren, in anderen Fällen sind sie dem Zugriff auf vitale Ressourcen und Lebensgrundlagen völlig ausgeliefert. (Das wäre vielleicht eine Möglichkeit, die Alpen und die Südsee doch zusammenzusehen.)
Solche thematische Verknüpungen sind vielleicht in einem einzelnen Workshop schwierig zu fassen und auszudifferenzieren. Das Format Ausstellung hingegen oder auch eine zukünftige Publikationen scheinen mir aber durchaus geeignet zu sein, um diesen komplexen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen.
Peter Spillmann
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